Vespers for violin and electronics (Missy Mazzoli)

28 mai 2025

Mazzolis Vespern kommen aus New York City und sie enthalten keine Psalmen, sondern aktuelle Gedichte. Sie sagt, sie seien eine “verzerrte, wilde blasphemische Interpretation” dieser Tradition. Und dass sie jeden Tag, den sie in New York verbringt, als Sieg empfindet.

Denn geboren wurde sie 1980 in der Provinz von Pennsylvania. Dort ist Missy schon als Kind von Beethoven fasziniert und fertigt Tabellen seiner Werke an. Ihre musikalische Ausbildung bekommt sie in Boston, an der Yale School of Music und dem Königlichen Konservatorium Den Haag. Heute arbeitet sie als Pianistin, Hochschullehrerin und vor allem als Komponistin. Ihre Produktivität ist haarsträubend – man werfe nur einen Blick auf ihr Werkverzeichnis. Sie hat Kammermusik und Orchesterwerke geschrieben, Filme und TV-Serien vertont und ihre Opern werden weltweit aufgeführt.

Eines ihrer Stücke wird 2019 für einen Grammy nominiert in der Kategorie “Beste klassische Komposition”: Es ist eine Bearbeitung ihrer “Vespers For a New Dark Age”, die praktischen Erwägungen folgt. Die neuen “Vespers” für verstärkte Violine mit Delay und Soundtrack brauchen nur eine Geige – der Rest wird elektronisch erledigt.

Mazzoli erklärt gerade heraus, wie das Stück zustande kam: “I sampled keyboards, vintage organs, voices and strings from [Vespers For a New Dark Age], drenched them in delay and distortion, and re-worked them into a piece that can be performed by a soloist.”

In diesem Stück spielt eine einsame Geige meditative und dann plötzlich eruptive Phrasen voller Glissandi (sie verschmiert quasi von einem Ton zum anderen), manche Motive hallen elektronisch nach. Dieses Solo findet vor ominösen Sphärenklängen mit Gesang statt. Das “dunkle Zeitalter”, nach dem das Ausgangswerk benannt ist, ist offensichtlich längst angebrochen. Aber hier wird nicht aufgegeben, hier stemmt sich die Geige gegen den Grusel, gegen die Angst.

Das Phänomen Kugelblitz, von dem offenbar immer noch nicht klar ist, ob es wirklich existiert, stellte ich mir als Kind übrigens viel furchtbarer vor als einen herkömmlichen Blitz, der schnell und mit Gewalt einschlägt und fertig. Etwas, das scheinbar bewusst Leute zu Hause in ihrer Dachwohnung aufsucht und dort verharrt, um ihnen Schrecken einzujagen, das erschien mir deutlich schlimmer. Der Kugelblitz ist ein Sinnbild für Angst.

Gleichzeitig war ich mir damals schon sicher, dass es keine Kugelblitze gibt. Ich weiß nicht, woher ich dieses Wissen damals gehabt haben soll, aber diese Art Wissen trug dazu bei, dass ich damals nichts zu beten hatte.

Wenn ich heute Trost suche, bete ich immer noch nicht, aber Mazzolis Musik und Zapruders Gedicht entnehme ich, dass man sein vor berechtigten und unberechtigten Ängsten freidrehendes Hirn mit den richtigen Aufgaben befassen muss. Es gibt so viel zu tun in diesem “Dark Age”.

GABRIEL YORAN: SCHLEICHWEGE ZUR KLASSIK, auf Steady: https://steadyhq.com/en/schleichwege/posts/53de5996-85ed-47f7-9dde-db4c147606cf

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